Die Systematik der Relevanz


Der öffentliche Diskurs rund um die Corona-Pandemie hat unser aller Vokabular um das Wort „systemrelevant“ erweitert. Die entsprechenden Diskussionen fand ich grundsätzlich gut und richtig, denn endlich wurde darüber geredet, wer und was in unserer Gesellschaft für das Gemeinwohl und unser Zusammenleben arbeitet. 

 

Dennoch hätte ich mir eine noch fundamentalere Auseinandersetzung mit dem Wort Systemrelevanz gewünscht, vor allem mit dem darin enthaltenen Wort „System“.

 

Systemrelevant für einen Krieg sind Soldaten und Waffen.

Systemrelevant für einen Kindergarten sind Betreuer, Spielzeuge und Spielorte.

Systemrelevant im Menschlichen Organismus sind die lebenserhaltenden Organe wie Herz, Lunge und Nieren.

 

Nehmen wir tatsächlich unser gesellschaftliches System, so wie es ist, weiterhin als lebensfreundlich und -erhaltend wahr? Ich tue es nicht!

Geballte Systemrelevanz im Garten der Autorin
Geballte Systemrelevanz im Garten der Autorin

Tagtäglich verwandeln die Bäume und Pflanzen um uns herum CO2 in Sauerstoff; eine Fähigkeit, die uns Menschen – obwohl für unser Überleben unabkömmlich – nicht vergönnt ist! Auf die gleiche Weise wie die Lunge als lebenserhaltendes Organ für das System Mensch arbeitet, so arbeiten die Bäume für das Überleben dieses Planeten. So gesehen haben die Bäume ja wohl eindeutig einen systemrelevanten Beruf! Und dennoch erheben wir uns über sie anstatt sie zu ehren, schänden und fällen sie, zerstören ihren Lebensraum, um unsere eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Doch die Natur. in all ihrer Überlegenheit, Souveränität und grenzenlosen Großzügigkeit - arbeitet unbeirrt weiter!

Unser Verhalten unserer Umwelt gegenüber erscheint mir hochgradig absurd, leider aber auch wenig überraschend, wenn ich daran denke, wie wenig wertschätzend wir auch mit anderen als systemrelevant eingestuften Berufsgruppen umgehen, etwa in der Gesundheits- und Krankenpflege.

 

Ein gesellschaftliches System unter die Lupe zu nehmen, bedarf einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit all seinen Voraussetzungen, Funktionsweisen sowie den darin tatsächlich vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten.

Wie nachhaltig kann eine Gesellschaft sein, die ignoriert, dass wir nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft O2 zu produzieren? Wie nachhaltig kann eine Gesellschaft sein, die ignoriert, dass unsere Ressourcen nicht unendlich sind? Wie zukunftsfähig ist unsere Welt, wenn wir das sorgsam ausbalancierte System Erde, also die Natur in ihrem Gleichgewicht kaum berücksichtigen? Wie soll es funktionieren, wenn wir nicht lernen, unseren Planeten mit allen Lebensformen zu teilen?

Mir scheint, all diese Ignoranz ist in der Tat für den Kapitalismus systemrelevant!

Deshalb ist es meines Erachtens zwingend nötig, im Zusammenhang mit der Frage nach relevanten Elementen eines Systems auch das System selbst auf den Prüfstand zu bringen. Wollen wir ein System der Ignoranz oder ein System der Wertschätzung? Je nachdem, wie wir unsere Prioritäten setzen, scheinen sehr unterschiedliche Dinge systemrelevant. Die Pflanzen als Sauerstoffproduzenten versus einem Vorstandvorsitzenden der Autoindustrie. Ich finde, dass alle Aktivisten für ein bessere und nachhaltigere Zukunft und eine gerechtere Welt sehr wohl auch systemrelevant sind!

Ihrem Plädoyer hat Geneviève auch mit dem Pinsel Ausdruck verliehen!
Ihrem Plädoyer hat Geneviève auch mit dem Pinsel Ausdruck verliehen!

Lasst uns Steueroasen verbieten, giftige Pestizid vom Markt nehmen, gesunde Nahrung und sauberes Wasser fördern und bezahlbar machen, Frieden erreichen und Segregation und Ungerechtigkeit im Kleinem und Großem bekämpfen – ganz egal, was und wieviel es kostet. Lasst uns dafür sorgen, dass wir nicht krank und schwach werden und unsere Obsessionen überwinden, indem wir ein natürliches Gleichgewicht unter Menschen, Tieren und Pflanzen herstellen. Lasst uns ein System etablieren, für dessen Erhalt es sich zu kämpfen lohnt!

Und bitte lasst uns die Bäume endlich in Ruhe lassen!

 

Euer Kolibri Geneviève

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